Mit dem Ziel, die Gleichberechtigung von Frauen weiter voranzutreiben, findet jährlich der Weltfrauentag statt. Mit knapp 30 Prozent sind Frauen auch in der Forschung und Entwicklung unterrepräsentiert (Destatis).
Als Chemikerin bei 3M arbeitet Patricia Tegeder in dieser männerdominierten Branche. Im Interview erzählt sie von der Bedeutung des Weltfrauentags, Hürden bei der Gleichberechtigung und Frauen in der Wissenschaft.
Frau Tegeder, aus Ihrer Sicht, braucht es in Deutschland 2024 noch einen Weltfrauentag?
Auf jeden Fall! Formal gesehen sind Männer und Frauen in unserem Land gleichberechtigt, jedoch gibt es aus meiner Sicht immer noch in vielen Bereichen große Defizite und Themen, auf die wir aufmerksam machen müssen, wie der Gender Pay Gap, ungleichverteilte Aufgaben bei der Pflege oder Gewalt gegen Frauen.
In der Arbeitswelt denken viele immer noch, dass Initiativen wie der Weltfrauentag nur für Frauen und Mädchen selbst von Vorteil seien. Dabei gibt es unzählige Studien die beweisen, dass geschlechter-diverse Teams bessere Ergebnisse liefern und Unternehmen, die diesen Ansatz verfolgen, profitabler sind. Auch im Hinblick auf den Fachkräftemangel sollte man versuchen, möglichst alle potenziellen Talente anzusprechen. Gleichberechtigung geht uns also alle etwas an.
Wo haben Sie in Ihrem bisherigen Leben noch Hürden für Gleichberechtigung entdeckt?
Ich glaube, die meisten Hürden bestehen in den Köpfen der Menschen in Form von Vorurteilen, wenn zum Beispiel unterschiedliche Maßstäbe für Männer und Frauen angesetzt werden: Bei der Wohnungssuche wurde mir einmal mit der Begründung abgesagt, dass ich in einem Alter sei, in dem Frauen häufig Kinder bekommen und deshalb schnell wieder aus der Wohnung ausziehen könnte. Von einem Mann habe ich derartige Geschichten noch nie gehört.
Im Berufsleben fürchten viele Frauen, dass sie ihre Karriere und Familienplanung nicht vereinen können und längere Auszeiten vom Beruf durch Schwangerschaft ein Karriereblocker sind. In männerdominierten Bereichen ist diese Sorge natürlich noch größer.
Das Motto des Weltfrauentags in diesem Jahr ist „Inspire Inclusion“: Welche Frau hat Sie bisher am meisten inspiriert? Hatten/Haben Sie dabei (weibliche) Rollenvorbilder gehabt? Wenn ja, welche?
In meiner Schulzeit und an der Universität gab es leider nicht viele weibliche Vorbilder. Der MINT-Bereich ist immer noch sehr stark Männerdominiert. Vor allem die großen bekannten Persönlichkeiten sind zumeist Männer, etwa die meisten bisherigen Nobelpreisträger oder Gründer von innovativen Tech-Firmen.
Auf einer Konferenz in den USA habe ich dann zum ersten Mal viele tolle Wissenschaftlerinnen an einem Ort getroffen – das war für mich eine prägende Erfahrung. Auch jetzt in meinem Unternehmen bin ich von vielen beeindruckenden Frauen umgeben, die mich tagtäglich inspirieren.
Wie sehen Sie Frauen in der Wissenschaft?
Frauen sind in der Wissenschaft leider häufig noch unterrepräsentiert. Es gibt jedoch signifikante Unterschiede in den verschiedenen Fachrichtungen. Der MINT-Bereich ist eher durch männliche Stereotypen geprägt. Ich glaube aber nicht, dass das etwas mit natürlichen Vorlieben oder Talent zu tun hat. Im MINT-Bereich kommt es nicht nur auf logisches Denken und ein gutes technisches Verständnis an, sondern auch auf Kreativität und soziale Kompetenzen wie Einfühlungsvermögen.
Warum haben Sie sich für einen Beruf im MINT-Bereich entschieden?
Aus Interesse. Schon als Kind wollte ich immer verstehen, warum die Dinge so sind wie sie sind. Die Naturwissenschaften haben mir auf diese Frage Antworten gegeben. Später fand ich es spannend, wie man diese Neugier mit der Aufgabe verbinden kann, reale Problemstellungen zu lösen. Deswegen habe ich mich nach meiner Promotion entschieden, die Universität zu verlassen und in ein Unternehmen zu wechseln, wo ich meine Fähigkeiten neben der reinen Forschung für die Entwicklung von sinnvollen Produkten nutzen kann. Ich treibe mit meiner Arbeit an Batteriematerialien die E-Mobilität voran – das ist für mich eine der größten Motivationen in meinem Beruf.
Welche Tipps geben Sie einer jungen Frau, die eine Karriere im MINT Bereich anstrebt?
Am besten sollte man es einfach ausprobieren. Gerade, wenn man sich noch nicht ganz sicher ist, ob der MINT-Bereich für einen geeignet ist. Hier bieten etwa Praktika oder Tätigkeiten als Werkstudentin einen guten, praxisnahen Einblick und bekommt die täglichen Aufgaben und das Arbeitsumfeld hautnah mit.
Später im Beruf kann ich nur empfehlen, sich mit anderen auszutauschen – zum Beispiel im Rahmen von Interessens-Gruppen, Initiativen und Mentoring-Programmen. So kann man einerseits sein berufliches Netzwerk ausbauen und gleichzeitig von den Erfahrungen anderer lernen.
Was muss sich aus Ihrer Sicht noch ändern, um mehr Frauen und Mädchen für die Branche zu begeistern?
Wir sollten die Vielfältigkeit der Berufswege für Frauen und Mädchen noch sichtbarer machen. Als ich angefangen habe Chemie zu studieren, wurde ich oft gefragt, ob ich Lehrerin werden möchte. Der MINT-Bereich bietet jedoch unterschiedlichste attraktive und zukunftsfähige Karrierewege an. Ich denke, viele Mädchen und Frauen fänden es spannend, an Zukunftsthemen wie Nachhaltigkeit, Energiewende, Biotechnologie oder Künstlicher Intelligenz zu arbeiten.
Zudem wird der MINT-Bereich oftmals für sehr theoretisch gehalten – zu Unrecht. Hier brauchen wir mehr Vorbilder, die aus ihrem Alltag in einem MINT-Beruf erzählen. Unser „Science is fun“-Programm etwa ist ein schönes Beispiel: Technische 3M-Mitarbeitende führen mit den Schülern alltagsnahe Experimente durch und erzählen von ihren Berufen. In der Schule werden meist die Impulse für die spätere Berufswahl gesetzt – hier können wir gut ansetzen und ein Bewusstsein für den MINT-Bereich schaffen.
Was war der beste Rat, den Sie in Ihrem Leben bekommen haben?
„Mache alles sofort, was nicht mehr als zwei Minuten dauert“. Diese Regel kennen wahrscheinlich viele. Aber sie hilft mir enorm – sowohl im Beruf als auch im Privatleben.